Rückzug der Landschaftsinitiative: Initiativkomitee setzt auf eine strenge Umsetzung des Raumplanungsgesetzes
Das Initiativkomitee der Landschaftsinitiative hat sich für deren bedingten Rückzug entschieden. Dank dem Druck der Initiative hat das Parlament eines ihrer Hauptziele ins Raumplanungsgesetz aufgenommen: die Stabilisierung des Bodenverbrauchs ausserhalb der Bauzonen. Allerdings kamen u.a. mit den “Sonderzonen” auch neue Ausnahmen ins Gesetz, welchen die Initiant:innen sehr kritisch gegenüberstehen. Sie halten aber fest, dass Kantone nur dann solche Zonen ausscheiden dürfen, wenn Biodiversität, Baukultur und Landschaft davon profitieren. Die Träger- und Partnerorganisationen der Initiative werden die Umsetzung des RPG2 nun sehr genau verfolgen und die Einhaltung der Ziele und Bedingungen einfordern.
Das Initiativkomitee hat das vom Parlament Ende September verabschiedete revidierte Raumplanungsgesetz (RPG2) als indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative eingehend geprüft und sich mit grosser Mehrheit für den bedingten Rückzug der Initiative entschieden.
Positiver Einfluss der Initiative
Die Landschaftsinitiative wurde 2019 lanciert und 2020 eingereicht, nachdem sich zwischen 2014 und 2019 alle Vorschläge zur Revision des Raumplanungsgesetzes als untauglich erwiesen hatten und in Sackgassen endeten. Die Initiative will das uferlose Bauen im Nichtbaugebiet stoppen. Die Vorschläge der Landschaftsinitiative haben verhindert, dass das Parlament das Gesetz für das Bauen ausserhalb der Bauzone ohne Qualitätskriterien und griffige Mengenbegrenzung weiter öffnet.
Wesentliche Punkte der Initiative aufgenommen
Die Landschaftsinitiative hat eine erste Analyse durchgeführt, wie weit das RPG2 den Forderungen der Initiative entspricht und wie es im Vergleich zum heute geltenden Recht wirken wird.
Das RPG2 übernimmt das zentrale Anliegen der Initiative: ein Stabilisierungsziel für die Anzahl der Bauten im Nichtbaugebiet und zusätzlich für die Bodenversiegelung in der Landwirtschaftszone (sofern nicht landwirtschaftlich oder touristisch bedingt). Die Umsetzung dieser Ziele ist analog zum RPG1 geregelt, also wie in der Bauzone.
Die neu verankerten kantonalen Sonderzonen stellen zwar eigentliche “black boxes” dar, da ihre Auswirkungen auf die Landschaft stark von den Richtlinien des Bundes abhängig sein werden. Die Hürden für die Einführung solcher Zonen sind allerdings hoch, und es gelten erstmals Qualitätskriterien im Sinne der Verbesserung der “Gesamtsituation”. Diese beinhaltet neben der Aufwertung der Siedlungsstruktur, Kulturland und Landschaft erstmals auch Biodiversität und Baukultur als Kriterien für die Richt- und Nutzungsplanung.
Ebenfalls wesentlich ist der Zeitfaktor: Das Gesetz kann deutlich schneller umgesetzt werden als eine Verfassungsinitiative mit anschliessendem Gesetzgebungsprozess.
Aktive Begleitung der Umsetzung
Das RPG2 enthält auch kritische Punkte, deren Auswirkungen stark vom Umsetzungsprozess abhängen.
Dies betrifft insbesondere die erwähnten Sonderzonen, dort vor allem mehr Möglichkeiten, ehemalige landwirtschaftliche Gebäude als Wohnungen umzunutzen sowie die Erlaubnis, ältere Hotels und Gastbetriebe ausserhalb der Bauzonen zu ersetzen und zu vergrössern.
Die Anwendung dieser Bestimmungen wird entscheiden, wie das ausufernde Bauen im Nichtbaugebiet begrenzt werden kann. Deshalb beendet die Trägerschaft der Landschaftsinitiative ihre Arbeit mit dem Rückzug keineswegs, sondern organisiert sich neu, um die Umsetzung des RPG2 kritisch zu begleiten und nötigenfalls auch politisch wieder aktiv zu werden.
Kontakte:
Trägerverein Landschaftsinitiative und Pro Natura: Urs Leugger-Eggimann, Geschäftsleiter Pro Natura, Präsident Trägerverein, Tel. 079 509 35 49
Stiftung Landschaftsschutz Schweiz: Raimund Rodewald, Geschäftsleiter, Tel. 079 133 16 39
Geschäftsleiterin Landschaftsinitiative: Elena Strozzi, Tel. 079 555 33 79
Zitate
«Wir haben die Landschaftsinitiative 2019 aus der Besorgnis heraus lanciert, dass die Revision des Raumplanungsgesetzes noch mehr Ausnahmen schaffen würde, um Bauen in der freien Landschaft zu ermöglichen. Wir wollten das entscheidende Erfolgsprinzip der Schweizer Raumplanung retten, dass Bau- und Nichtbaugebiet zu trennen sind. Mit viel Überzeugungsarbeit hat die Landschaftsinitiative erreicht, dass nun auch im Parlament unbestritten war, das Bauen im Nichtbaugebiet insgesamt zu begrenzen. Es ist uns bewusst, dass wir die Umsetzung mit voller Aufmerksamkeit mitverfolgen müssen, um zu gewährleisten, dass das Gesetz wirklich im Interesse von Natur und Landschaft ausgelegt wird.»
«Viele Menschen sind naturverbunden. Und doch fehlt das Bewusstsein in der breiten Bevölkerung, wie kritisch die Lage für die Biodiversität in unserem Land ist. Umso wichtiger ist es, dass die Aufwertung der “Biodiversität” nun endlich auch im Raumplanungsgesetz als Bedingung aufgenommen wird, um künftige Ausnahmen beim Bauen ausserhalb der Bauzone zu beurteilen. Damit sollen unsere freien Landschaften vor weiterer Zersiedelung und Zerschneidung verschont werden. Der Zustand der Landschaft als Lebensraum ist entscheidend für das weitere Schicksal der Biodiversität, unserer Lebensgrundlage.»
«Der Schweizer Heimatschutz hat sich mit der Landschaftsinitiative stark engagiert, um den Wert des kulturellen Erbes in unserer Landschaft anzuerkennen und zu schützen. Es ist sehr wichtig, dass Baukultur nun erstmals als Qualitätskriterium im Raumplanungsgesetz figuriert. Wir werden auch jene Teile des RPG2 genau überwachen, die uns Sorge bereiten – etwa die Gefahr der vermehrten Umnutzung von Ställen zu Ferienhäusern. Das RPG2 darf auch nicht dazu führen, dass erhaltenswerte, für das Landschaftsbild charakteristische kleinere Bauten abgerissen werden, um Neubauten zu rechtfertigen.»
«Nach fast zehn Jahren Diskussion haben wir endlich erreicht, dass Bauen ausserhalb der Bauzone zwar nicht gestoppt, aber doch deutlich begrenzt wird.
Ganz wesentlich ist, dass das RPG2 bei den vielen Ausnahmen – insbesondere für landwirtschaftliche und touristische Bauten – einige wichtige Mechanismen der Landschaftsinitiative übernimmt: Neue Sonderzonen, Umbauten und Neubauten ausserhalb des eigentlichen Baugebiets müssen zu einer «Verbesserung der Gesamtsituation» führen.
So sind etwa neue oder vergrösserte Bauten in einer bereits gut erschlossenen Zone denkbar, wenn dafür frühere, nicht erhaltenswerte Gewerbehallen entfernt werden. Oder ein Wiederaufbau zerfallender Maiensässe wäre möglich, wenn damit denkmalschützerisch gute Lösungen und eine verbesserte Landschaftspflege einhergehen.
Wir werden in jedem Fall darauf achten, dass die Aufwertungsmassnahmen für Siedlungsstruktur, Landschaft, Biodiversität und Baukultur auch wirklich umgesetzt werden.»
«Mit der Landschaftsinitiative haben wir erreicht, dass ein Parlament, das für Anliegen des Naturschutzes und der Biodiversität wenig Gehör hatte, einen Gegenentwurf erarbeitet hat. Das einstimmige Votum für das RPG2 zeigt, dass es dies ein Kompromiss aller Kräfte ist – aber es zeigt auch die Fähigkeit der Politik, sich auf gemeinsame Punkte zu einigen. Das Gesetz ist nicht perfekt, aber es weist für uns positive Punkte auf wie z.B. das Stabilisierungsziel. Es ist ein Erfolg, der viel Engagement und Kreativität erfordert hat. In diesem Geist muss auch die Umsetzung durch die Verwaltung erfolgen: Die nun im Gesetz verankerten Inhalte der Initiative müssen auch nach deren Rückzug Beachtung finden.
«In den fünf Jahren seit der Lancierung der Landschaftsinitiative haben wir regelmässig Rückmeldungen von Personen erhalten, die den Verlust von Natur und Landschaft durch die Verbetonierung unserer Böden bedauerten. Die Sorge um die Erhaltung einer intakten Landschaft ist in der Bevölkerung sehr präsent. Sie hat dies in früheren Volksabstimmungen, Aktionen und als Mitglieder unserer Organisationen immer wieder bekräftigt. Der Geist der Landschaftsinitiative wird auch nach ihrem Rückzug weiterleben; wir werden in diesem Sinne weiter für einen respektvollen Umgang mit unseren Landschaften eintreten.
Die 2020 eingereichte Landschaftsinitiative will unsere Landschaften und fruchtbaren Böden gegen das überbordende Bauen ausserhalb der Bauzonen schützen. Trägerorganisationen der Initiative sind Pro Natura, die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, BirdLife Schweiz, der Schweizer Heimatschutz, der VCS und Casafair.
In der Schweiz machen die Bauten im Nichtbaugebiet fast 40% der total bebauten Fläche aus. In den letzten vier Jahren kamen 23’000 neue Gebäude ausserhalb der Bauzonen dazu.
Das teilrevidierte Raumplanungsgesetz dient als indirekter Gegenvorschlag zur Initiative. Das Parlament hat das RPG2 am 29. September 2023 einstimmig verabschiedet.
Der Nationalrat behandelt die Landschaftsinitiative in der Dezembersession. Dies ist aus formellen Gründen nötig, auch wenn die Initiative bereits bedingt zurückgezogen ist: Im Fall einer unwahrscheinlichen, aber theoretisch noch möglichen Ablehnung des RPG2 in einer Referendumsabstimmung käme die Initiative trotzdem an die Urne.