Eine Initiative zum Schutz unserer Wildnis
Die Wildnis, die Kulturlandschaft und das baukulturelle Erbe geraten durch Menschenhand und die damit einhergehende Bauwut immer mehr unter Druck. Die Landschaftsinitiative fordert deshalb einen Paradigmenwechsel. Nachdem über 100’000 Unterschriften gesammelt und die Initiative eingereicht wurde, steht sie nun im Mittelpunkt intensiver politischer Diskussionen. Ein guter Zeitpunkt, um mit einem ihrer unermüdlichen Fürsprecher, Raffaël Ayé, Geschäftsführer von BirdLife Schweiz, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Raffaël Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz
Im März 2019 lancierten mehrere Organisationen die Landschaftsinitiative, um die Natur, die Landschaft und die Baukultur zu schützen. Was war der Auslöser?
Die Biodiversität hat in der Schweiz stark abgenommen, unsere Ökosysteme sind beeinträchtigt. BirdLife Schweiz stellt eine Verarmung der Landschaften vor allem im Kulturland, aber auch darüber hinaus fest. Und damit einhergehend auch einen Rückgang typischer Vogelarten dieser Landschaften. Ein Grund dafür ist neben der intensiven Nutzung z. B. in der Landwirtschaft auch die Überbauung und Zersiedelung. Fast 40 Prozent der überbauten Fläche liegt heute ausserhalb der Bauzonen. Deshalb haben BirdLife Schweiz, Pro Natura, Stiftung Landschaftsschutz und Schweizer Heimatschutz die Landschaftsinitiative lanciert.
Was verlangt die Initiative genau?
Eigentlich ist die Trennung von Baugebiet und Nicht-Baugebiet schon lange in der Gesetzgebung zur Raumplanung verankert. Aber dieser Grundsatz wird nicht respektiert, wie die unkontrollierte Bautätigkeit ausserhalb der Bauzonen zeigt. Beinahe 600’000 Gebäude stehen heute in der Schweiz ausserhalb der Bauzone. Der Wunsch des Stimmvolks war es jedoch, die Bautätigkeit ausserhalb der Bauzone auf ein Minimum zu beschränken.
Die Initiative stärkt die Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet. Neue Bauten ausserhalb der Bauzone sind weiterhin möglich, aber nur wenn diese für die Landwirtschaft notwendig oder aus anderen Gründen standortgebunden sind. Umnutzungen sind nach der Initiative nicht mehr zugelassen. Ausnahmen sind zur Erhaltung schutzwürdiger Bauten oder zur Verbesserung der örtlichen Gesamtsituation für Natur, Landschaft und Baukultur zulässig.
Damit leistet die Initiative einen wichtigen Beitrag dazu, die unkontrollierte Bautätigkeit in unseren Schweizer Landschaften und die Zersiedelung zu stoppen. Nur so kann in der Schweiz wenigstens ein bisschen Wildnis, ein bisschen freie Natur, erhalten bleiben. Die Initiative öffnet den Weg hin zu einer nachhaltigen Nutzung des Bodens und hin zum langfristigen Erhalt attraktiver Landschaften, hochstehender Baukultur und der wertvollen Biodiversität unseres Landes.
Die Landschaftsinitiative wurde im September 2020 mit über 100’000 gültigen Unterschriften eingereicht. Aber der Weg zur Volksabstimmung ist lang und voller Tücken. Können Sie uns mehr über den aktuellen Prozess erzählen?
Der Bundesrat hat im Dezember anerkannt, dass Handlungsbedarf im Sinne der Landschaftsinitiative besteht und die ausufernde Bautätigkeit ausserhalb der Bauzonen eingedämmt werden muss. Nun betrachtet er die Revision des Raumplanungsgesetzes aus der Ständeratskommission als Gegenvorschlag zur Initiative. Die darin vorgesehenen Massnahmen sind jedoch eher mutlos und in verschiedenen Punkten missverständlich. Eine ganze Reihe von Ausnahmen könnten das Anliegen schwächen statt es zu stärken. Es kann also gut sein, dass die Landschaftsinitiative vors Volk kommen wird.
Wie schätzen Sie die Unterstützung der Bevölkerung ein?
Die Schweizerinnen und Schweizer sind ihren Landschaften und der Natur enorm verbunden. Das konnte man auch während der Pandemie beobachten, als sie sich sehr viel in der Natur aufhielten. Gerade in unsicheren Zeiten geben eine Wanderung in der Natur oder das heimatliche Landschaftsbild Halt und Ruhe. Intakte Landschaften sind zudem für den Tourismus von grosser und weiter zunehmender Bedeutung. Es ist daher wichtig, die Landschaft zu schützen!
In politischen Abstimmungen zeigt sich der grosse Stellenwert, den intakte Landschaften für die Schweizerinnen und Schweizer haben. Das revidierte Raumplanungsgesetz als Gegenvorschlag zur ersten Landschaftsinitiative wurde 2013 vom Stimmvolk mit grosser Mehrheit angenommen: in 25 von 26 Kantonen. Eine solche Einigkeit ist bemerkenswert. Die Zweitwohnungsinitiative wurde 2012 angenommen, obwohl sich die Parlamentsmehrheit dagegen ausgesprochen hatte. Die Landschaftsinitiative wird in breiten Bevölkerungskreisen Unterstützung finden, denn es geht um den Erhalt unserer Heimat, mit der wir alle emotional tief verbunden sind.
In der Schweiz wurden 590.000 Gebäude außerhalb der Bauzone errichtet wurden. Auch wenn die Zahl hoch erscheint, so ist sie doch abstrakt. Was bedeutet das?
Etwa 40 Prozent der bebauten Fläche liegen ausserhalb der Bauzone. Die Raumplanung hat also zumindest in gewissen Regionen versagt. Jedes Jahr werden in der Schweiz 2000 Gebäude ausserhalb der Bauzonen errichtet. Es geht also ungemindert weiter. Dieser Trend hat einen starken Einfluss auf die Landschaft. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Landschaft, Fauna und Flora.
Wenn die Landschaftsinitiative angenommen wird, welche Auswirkungen wird sie auf die Bergregionen und die Wildnis haben?
Die Landschaftsinitiative wird auf die ganze Schweiz positive Auswirkungen haben, indem noch unverbaute Landschaften und die verbleibenden Gebiete mit mehr oder weniger unberührter Natur nicht durch zusätzliche Bauten und Zufahrtsstrassen noch stärker beeinträchtigt werden. In den Bergregionen gibt es noch mehr Gebiete mit intakter, wildschöner Natur. Ihre sukzessive Beeinträchtigung durch Bautätigkeit wird verhindert oder zumindest stark reduziert. Und die Natur ist wiederum die wertvollste Ressource, die die Schweiz hat.
Das Raumplanungsgesetz trat erst im Januar 1980 in Kraft. Es war die Antwort auf eine überbordernde Bautätigkeit in den Boomjahren nach dem zweiten Weltkrieg. Es brauchte dann den Druck der eidgenössische Verfassungsinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» die Anfang März 2013 – in einer Referendumsabstimmung – zum deutlichen Ja der Schweizer Stimmberechtigen zum revidierten Raumplanungsgesetz führte. Das war ein historischer und wichtiger Entscheid. Die Volksinitiative konnte so bereits vor der Abstimmung vom Initiativkomitee zurückgezogen werden.
Gleichzeitig konnte durch Gerichte mehr Rechtsverbindlichkeit geschaffen werden. So zum Beispiel durch ein Bundesgerichtsurteil, welches die Umnutzung historischer Ökonomiebauten ausserhalb der Bauzonen als rechtswidrig verbot. Und bereits sind wir mit einer weiteren Revision des Raumplanungsgesetzes intensiv gefordert.